Für alle die, die einmal erfahren möchten, wie es binnen zugeht, wenn man die dabei verbrauchte Zeit nicht als Mittel zu Zweck, sondern als eigenen Wert ansieht, ist der folgende Bericht gedacht.
Motorfahrt - pur -
Boot: Gruno 33 (128 PS) Crew: Gabriele und Udo Plessow (am Beginn des Rentenalters)
Wir starten Mitte Mai 2015 in Richtung Westen und erreichen nach Verlassen der Havel bei Plaue über den Elbe-Havel-Kanal, Mittellandkanal, Dortmund-Ems- und Rhein-Herne-Kanal nach ca. 1 ½ Wochen in Duisburg den Rhein. Nach weiteren 4 Tagen gegen den Strom mit Übernachtungen in Düsseldorf, Köln und Bad Honnef sind wir auf der Mosel im Oberwasser der Schleuse Koblenz. Wir wollen nun die Mosel aufwärts bis zur Saarmündung, die Saar weiter zum Rhein-Marne-Kanal, diesen talwärts bis wir in Straßburg wieder den Rhein erreichen.
An unserem ersten Tagesziel auf der Mosel, in Cochem, erwähnt ein Bootsnachbar, mit dem wir uns über unsere Reiseziele unterhalten, dass er von einer erneuten, längeren Sperrung des 2-3 Tagesreisen vor Straßburg gelegenen Schiffshebewerks Arzviller – wie schon 2013 – gehört habe. Wir wollen es gar nicht glauben. Es würde bei der genannten Zeit – bis Mitte Juli - unsere Reisepläne völlig über den Haufen werfen. Internetrecherchen noch spät abends bringen keine eindeutigen Ergebnisse, da eine offizielle Mitteilung der französischen Wasserstraßenverwaltung nicht zu finden ist und in Foren widersprüchliche Aussagen kursieren. Erst ein Anruf am nächsten Morgen bei der ersten französischen Saarschleuse, wo auch die Vignetten für die Benutzung der französischen Wasserstraßen verkauft werden, bringt die schreckliche Gewissheit. Der Schleusenmeister bestätigte in perfektem Deutsch, dass der 15. Juli derzeit als Wiedereröffnungstermin gelte. Das bedeutet, um wenigstens den 2. Teil unserer Reiseplanung – eine Mainfahrt bis zur Donau – zu realisieren, noch am selben Tag zurück zum Rhein.
Nun ist es doch soweit gekommen, dass wir uns auf die gefürchtete Gebirgsstrecke des Rheins machen müssen. Alle Bootsleute, mit denen wir darüber reden, sprechen uns jedoch Mut zu, die Sache anzugehen, was mit unserem Boot – insbesondere seiner Motorisierung – durchaus möglich sei.
Bis St. Goar ist eine stärkere Strömung kaum zu merken. Danach – also von der Loreley bis Bingen – schon. In Koblenz hatte man uns gesagt, wenn wir die 1. Kurve geschafft hätten, würden wir alles andere auch schaffen. Ein Blick auf die Karte ließ jedoch nicht eindeutig erkennen, welche der Kurven die erste sein sollte. Vor Ort merkten wir es dann aber sofort. Das Wasser drückte auf eine steile Uferstelle und prallte von dort zurück ins Fahrwasser, dass mit der zuvor gefahrenen Geschwindigkeit kein Weiterkommen möglich war. Ca. 30 Sekunden Vollgasfahrt machten dem Spuk jedoch ein Ende und die weitere Kurvenfahrt durch die sog. Wahrschau-Strecke, wo auf großen elektronischen Tafeln am Ufer der aktuelle Gegenverkehr im jeweiligen Abschnitt mit Symbolen angezeigt wird, verlief spannend, aber nicht gefährlich. Nachdem auch Kaub mit der Burg Pfalzgrafenstein in der Flussmitte passiert war, gab es Anspannung nur noch gegen Ende der 26 km langen Gebirgsstrecke, als bei Assmannshausen sich die Strömung wieder merklich erhöhte, was auch eine Erhöhung der Motordrehzahl bis kurz unter die Volllast erforderte. Bei der ca. 1 ½ km langen Strecke kam hinzu, dass dort – es war Pfingstmontag – ein extrem starker Verkehr von Fahrgastschiffen zu der sonst üblichen Frachtschifffahrt hinzukam, was häufige Kursänderungen von der einen zur anderen Fahrrinnenseite erforderte. Aber auch diese Situation war irgendwann überwunden und so erschien uns nach Passieren des Mäuseturms bei Bingen die restliche Strecke bis Rüdesheim, trotz des üblichen Gegenstroms, wie ein ruhiges „Auslaufen".
In Frankfurt, das wir erstmals besuchten, stellte sich die Innenstadt-Marina mit der inzwischen wohl üblichen Randbebauung mit Luxuswohnungen, wie wir sie schon in Düsseldorf, Köln und gerade in Mainz angetroffen hatten, als ausgesprochen angenehmer, ruhiger und sogar preisgünstiger Aufenthaltsort heraus. Ab Aschaffenburg, das 2014 Endpunkt unserer Mainfahrt war, ging es hinaus in wirkliches Neuland, auf das wir uns schon ein Jahr lang gefreut hatten. Die Landschaft und die Städte übertrafen unsere Erwartungen. Hielten wir auf unserer Fahrt 2003 die 200 km lange Flussstrecke der Mosel von Koblenz bis Trier für die schönste Deutschlands, sehen wir das heute anders. Die Mosellandschaft, die völlig durch den monokulturellen Weinbau bestimmt wird, hat einerseits durch die jahrhundertelange Zerstörung der Natur und andererseits durch die Touristenmassen in den Städten einen hektischen, aggressiven Charakter, der tags noch durch absichtlich laut knatternde Motorradkolonnen und nachts durch das Scheppern schier endloser Güterzüge verstärkt wird. Als wir am Main die ersten Weinberge sehen, wirken diese zaghaft in die übrige Landschaft versteckt. Selbst die großen bekannten Weinlagen bei Würzburg und Volkach passen sich mit ihren flachen Hängen der bewaldeten Landschaft an und weichen vom Main in weite Nebentäler aus, ohne jemals bedrückend zu wirken. Der ruhige, entspannte Eindruck den die Landschaft vermittelt, setzt sich in den Städten fort. Abgesehen von Frankfurt, das vom Business, ja von Globalisierung geprägt ist, haben die Städte ihre Eigenständigkeit bewahrt und sich nicht dem Tourismus ausgeliefert. Dies gilt für die kleineren, reizvollen Städte wie Miltenberg, Wertheim und auch Aschaffenburg ebenso wie für die großen wie Würzburg, Nürnberg und Regensburg, obwohl diese täglich von mehreren großen Kreuzfahrtschiffen angelaufen werden. Deren Passagiere verlaufen sich wegen der Größe der Städte und ihrer zahlreichen Sehenswürdigkeiten (noch). Überhaupt die Kreuzfahrer: Noch nie und nirgendwo haben wir so viele hochmoderne Kreuzfahrtschiffe mit 70 bis 80 Doppelkabinen gesehen wie auf der Main-Donau-Wasserstraße. Da ihre Länge durchweg 135 m beträgt, passt kein Frachtschiff mehr in die Schleusen, die auf dem Main-Donau-Kanal 190 m lang sind (auf dem Main sogar meist 300 m). Es bleibt für uns also noch immer Platz. Tags über kommen wir dadurch sogar schneller voran als die Frachtschifffahrt, weil wir vor den Schleusen (von denen es vom Rhein bis zur Donau genau 50 gibt) wenn Andrang herrscht, bis hinter das erste Schiff vorfahren und somit an anderen dort wartenden vorbeifahren können. Nachts sieht das anders aus, weil rund um die Uhr gefahren wird. Regulär wird zwischen 6 und 22 Uhr geschleust; im restlichen Zeitraum nur bei Voranmeldung – vermutlich gegen höhere Gebühren. Von dieser Möglichkeit machen zumindest die Kabinenschiffe regelmäßig Gebrauch, was wir, wenn wir unmittelbar an der Wasserstraße und nicht in Sportboothäfen übernachten, am Motorengeräusch und am Schwell merken. Zuerst war das aufregend. Später schauen wir gar nicht mehr hin, weil es pro Nacht drei- bis viermal geschieht.
Zu einigen Besonderheiten der Strecke ist noch folgendes zu bemerken: Erstens: Der Bau des Main-Donau-Kanals wurde damals von verschiedenen Seiten heftig bekämpft. Umweltschützer wandten sich hauptsächlich gegen die Trassenführung im Altmühltal, andere kritisierten das Projekt als größte Fehlinvestition des 20. Jahrhunderts auf wasserbaulichem Gebiet. Die heutigen, für uns sichtbaren Gegebenheiten dürften die damaligen Kritiker Lügen strafen, was uns auch von Anrainern bestätigt wurde. Auf den letzten 30 Kilometern vor der Donau, wo der Kanal das Altmühltal nutzt, hat er – weit entfernt von den sonst für Großschifffahrt ausgebauten Strecken – den Charakter eines sich durch eine Gebirgslandschaft windenden Flusses, der sich durchaus mit der Donau an dem berühmten Durchbruch bei Weltenburg (6 km oberhalb von Kehlheim), den wir mit einem Fahrgastschiff besucht haben, vergleichen lässt. Die beim Bau angelegten Radwege fanden deshalb sogar Aufnahme in den Radwanderführer „Die schönsten Fluss(!)radwege Deutschlands". Dass der Kanal ausgelastet ist, zeigt sich am Schleusenbetrieb rund um die Uhr und an den Wartezeiten vor den Schleusen, die für die Berufsschifffahrt tagsüber durchaus entstehen. Zweitens: Hielten wir das Problem Strömung seit Verlassen des Rheins für überwunden, wurden wir gleich in der 1. Schleuse des Main-Donau-Kanals in Bamberg jäh mit den Kräften fließenden Wassers konfrontiert. Ganz schlaue Ingenieure hatten sich nämlich bei der Konzeption der Schleusen davon leiten lassen, der Berufsschifffahrt den Schleusenvorgang möglichst komfortabel zu gestalten und das Wasser von unten dicht entlang der Seitenwände einströmen zu lassen, um dadurch die Schiffe, die fast die gesamte Breite der Kammer einnehmen – ohne fest zu machen(!) – in der Mitte zu halten. Diese Konstruktion ist für Sportboote, an die man seinerzeit offensichtlich gar nicht gedacht hatte aber fatal. Das beim Schleusen zu Berg in starken Sprudeln - zunächst sogar in Fontänen - einströmende Wasser drückt das Boot mit einer so großen Kraft von der Wand weg, dass eigentlich ein Belegen der Festmacherleinen nötig wäre – aber wegen des raschen Aufstiegs unmöglich ist. Entscheidend ist, dass die Leinen wegen der Höhe der Schleusen viele Male in der Leiter oder den Nischenpollern umgehängt werden müssen. Man hat sprichwörtlich die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Hält man das Boot mit aller Kraft an der Wand fest, kann man die Leine nicht umhängen. Lässt man die Leine etwas locker, gerät man sofort von der Wand weg, so dass man nicht mehr an den Poller bzw. die Leiter zum Umhängen heranreicht. Dass einem zu zweit das Bergschleusen dennoch gelingt, grenzt an ein Wunder, ist aber eine Qual, der man sich in 11, 12 und 2mal 18 m hohen Schleusen ohne Schwimmpoller stellen muss, da erst die später im Abstieg zu Donau gelegenen 25 m hohen Schleusen Schwimmpoller haben.
Nachdem wir unser Reiseziel Regensburg erreicht und nach 27 Tagen die Main-Donau-Wasserstraße wieder verlassen haben, ist es Zeit für ein Resümee:
Wir sind froh und glücklich die weite Reise – sowohl die Anreise zum Main als auch den 3 ½ - wöchigen ununterbrochenen Aufenthalt in Bayern – unternommen zu haben. Grund dafür sind neben der herrlichen Landschaft die freundlichen, aufgeschlossenen Menschen, für die wir als Berliner, die noch dazu mit dem eigenen Boot bis nach Bayern gekommen sind, etwas Exotisches haben, was sofort Gesprächsstoff bietet, weil es wohl sehr selten geschieht. Das Charterwesen, das in Branden- und Mecklenburg schon eine Belastung darstellt, ist in Bayern völlig unbekannt. Einheimische besitzen offene Gleitboote zum Wasserski oder Speed-Fahren (auf dem Main gibt es keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung für Sportboote) oder gleitfähige GFK-Kajütboote für Wochenendfahrten in die nächste Stadt und zurück. Auch die Schleusenbediensteten unterscheiden sich wohltuend von denen in Spandau. Man legt nämlich großen Wert auf freundliche Kommunikation. Nach der Anmeldung per Funk wird man auch als Sportbootfahrer stets über die aktuelle Situation in bzw. an der Schleuse informiert. Zum Beispiel: „In der Kammer ist zur Zeit Talfahrt. Wenn sich bis zu deren Ausfahrt kein Bergfahrer gemeldet hat, komme ich leer wieder hoch." Dafür wird erwartet, dass man sich per Funk meldet, sobald man in der Kammer festgemacht hat. Für die Mitteilung, „Das Sportboot ist schleusungsbereit", erhält man ein „Dankeschön" und meist ein „Dann geht's jetzt los." Es kommt gut an, dass man sich abmeldet, falls man nicht mehr durch die nächste Schleuse möchte. Für diese Information gibt es dann wieder ein Dankeschön und Wünsche für einen schönen Abend oder einen angenehmen Aufenthalt. Auch ist das Schleusenpersonal bemüht – wenn man darum bittet – einen geeigneten Übernachtungsplatz im Schleusenbereich anzubieten. Dabei wird auf damit verbundene Gefahren bzw. Alternativen hingewiesen. Ein Schleusenmeister, der uns auf der Hinfahrt über mehrere Schleusen mit wohlmeinenden und aufmunternden Sprüchen „begleitet" hatte und der eine Woche später auf der Rückfahrt wieder für uns tätig war, ließ es sich nicht nehmen, seinen Leitstand zu verlassen, um uns in der Schleuse persönlich kennen zu lernen. Die Bayern werden uns also in guter Erinnerung bleiben.
Unsere Rheinfahrt stromab ging wie erwartet schnell. Vergleicht man die vorherige Bergfahrt mit der jetzigen Talfahrt, zeigt sich, dass es zu Tal mindestens doppelt so schnell geht. Streckenweise sogar mit dreifacher Geschwindigkeit. Da man die Tagesetappen aber entsprechend größer wählt, bleibt die tägliche Fahrtzeit ungefähr gleich. Interessanterweise bleibt auch die mentale wie die körperliche Inanspruchnahme gleich. Die Bergfahrt zerrt an den Nerven, weil es oft quälend langsam vorangeht, obwohl der Motor an seiner Belastungsgrenze arbeitet und man in Sorge ist, ob alles hält. Dafür hat man genügend Zeit, über eventuelle Kursänderungen und deren mögliche Auswirkungen nachzudenken. Der durch die Berufsschifffahrt erzeugte ständige Wellengang erscheint zu Berg weniger störend als auf der Talfahrt. Man empfindet wohl das längere Mitlaufen auf einer Welle zu Tal unangenehmer als das kurze Durchbrechen gegenan. Jedenfalls steht zu Tal eine viel geringere Reaktionszeit zur Verfügung und man muss ständig aufpassen, der Berufsschifffahrt nicht in die Quere zu kommen oder von ihr in die Zange genommen zu werden. Alles in allem sind beide Richtungen sehr anstrengend und man ist froh, es hinter sich zu haben.
Nach Verlassen des Rheins kann man erwarten, dass auf den uns bekannten Kanalstrecken nach Hause keine Überraschungen mehr auftreten, was auch zutraf. Da wir aber durch die Sperrung des Schiffshebewerks Arzviller gänzlich auf eine Fahrt durch Frankreich verzichten mussten, überlegen wir, ob wir es im nächsten Jahr noch einmal versuchen sollten. Dann aber von der Saar aus über den Rhein-Marne-Kanal nach Westen wieder zur Mosel, um nicht auf das störanfällige Hebewerk Arzviller angewiesen zu sein.
Einige „technische Daten":
Reisedauer: 58 Tage
Übernachtungsstellen:
Ankerplätze 5
Anlegestellen 10
an Schleusen 13
in Stadthäfen 6 = 34 gebührenfrei
in Vereinen 12
in Marinas incl. 2 „Hafentage" 12 = 24 gebührenpflichtig
Strecke: 3.052 km
Schleusen: 156